„Die Frauen haben den Gripen versenkt.“

Interview mit der Historikerin Catherine Bosshart

Migros Magazin vom 1. Februar 2021 (online und als pdf)

Am 7. Februar 1971 wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht in einer Volksabstimmung durch die Männer angenommen. Zu 50 Jahre Frauenstimmrecht das Interview mit Catherine Bosshart, BPW International Vize Präsidentin UN, im Migros Magazin, dem Organ des Migros-Genossenschafts-Bundes.

Catherine Bosshart, was haben Sie am 7. Februar 1971 gemacht?
Ich war damals in einem Auslandsemester in Deutschland und habe für meine Prüfungen gelernt und natürlich mitgefiebert. Dann hat meine Mutter angerufen, und ich habe gejubelt.

„Von einer Lohngleichheit sind wir leider immer noch weit entfernt.“

Catherine Bosshart, Historikerin

1971 waren sie bereits 23. Wie haben Sie sich in den Jahren gefühlt, in denen Sie nicht abstimmen durften?
Das war frustrierend. Ich bin in einem Haushalt gross geworden, in dem meine Mutter viel Verantwortung übernommen hat und sehr selbständig war. Deshalb war es für uns nicht nachvollziehbar, wieso Frauen sich nicht politisch beteiligen sollten.

Wieso kam das Frauenstimmrecht in der Schweiz so spät? Es wurde ja schon 1886 gefordert.
Weil in der Schweiz die Stimmbürger, also die Mehrheit der Männer, dafür stimmen musste. In unseren Nachbarländern konnte das Parlament ein Stimm- und Wahlrecht für die Frauen durchdrücken.

Wovor hatten die Männer Angst?
Es war ganz klar eine Machtfrage. Aber die Diskussionen um das Frauenstimmrecht fanden auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges statt. Viele Männer befürchteten, Frauen könnten sozialistischer eingestellt sein und so die Politik der Schweiz in diese Richtung lenken.

Wie gross war der Druck aus dem Ausland?
Als die Schweiz in den 60er-Jahren der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten wollte, wurde diese politische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen ein Problem. Denn ein Teil dieser Menschenrechtskonvention ist das Frauenstimmrecht. Insofern kann man schon sagen, dass der Druck aus dem Ausland eine wichtige Rolle gespielt hat und die Frauen in der Schweiz zumindest in ihrem Kampf ermutigt hat.

Es gab auch Frauen, die dagegen waren. Warum?
Viele argumentierten mit der traditionellen Rollenverteilung: Die Frau gehört in die Küche und ins Haus. Einige von ihnen sagten aber auch, dass ein Stimm- und Wahlrecht allein sie nicht vor Gewalt zu Hause oder vor Unterdrückung am Arbeitsplatz schützen könne.

Ein nachvollziehbares Argument?
Nein. Mit einem Stimmrecht können Frauen ja auch bei den Gesetzen zu ihrem Schutz mitbestimmen.

„Es war ganz klar eine Machtfrage.“

Catherine Bosshart, Historikerin

Was haben sich die Frauen durch dieses Stimmrecht erhofft?
Sie wollten im Ehe- und im Erbrecht mitbestimmen. In den 60er-Jahren waren Frauen schon unabhängiger als in den Jahrzehnten zuvor. Die Gesetze hatten sich dieser Entwicklung aber noch nicht angepasst. Ehefrauen durften etwa nur mit Erlaubnis ihres Mannes arbeiten oder ein eigenes Bankkonto eröffnen.

Sind diese Hoffnungen eingetroffen?
Zum Teil. Die Frauenrechte haben sich mit dem Frauenstimmrecht verbessert. Aber es gibt immer noch viel zu tun. Es geht alles viel zu langsam vorwärts.

Zum Beispiel?
Es gibt immer noch viel weniger Frauen, die in hohen Positionen in der Wirtschaft oder in Verwaltungsräten sitzen. Und von einer Lohngleichheit sind wir leider immer noch weit entfernt.

Stimmen Frauen anders ab als Männer?
In gewissen Bereichen. Wenn es zum Beispiel um Familienpolitik oder um Einwanderung geht, stehen Frauen viel mehr links und arbeiten auch über die Parteien hinaus zusammen. Auch für den Umweltschutz setzen sie sich mehr ein als die Männer.

Gibt es Abstimmungen, die ohne Frauen anders ausgegangen wären?
Ja, eine ganze Reihe. In der jüngsten Zeit war das zum Beispiel das Referendum zum Kauf des neuen Kampfjets Gripen im Jahr 2014. Da setzten sich die Frauen mit ihren Stimmen klar durch und haben damit den Gripen versenkt.

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